„Der Rabe
aber sprach....“
Zur Ausstellungseröffnung am 19.10.2000
So heisst der Titel meiner
Ausstellung. Der Rabe erscheint am Anfang, in der Mitte und am Schluss
der Ausstellung. Er ist der Erzähler, der gleichzeitig dem Betrachter
den Weg durch die Ausstellung weist. Der Rabe ist ein Symbol für
Tod aber auch für Auferstehung. Die Todesgöttin wurde auch
als Rabe dargestellt. Sie war aber gleichzeitig auch die Göttin
für die Lebenserneuerung. Der Rabe als Symbol der „Anderswelt“
sitzt heute noch auf der Schulter der Hexe, der Zauberin. Im Märchen
ist der Rabe häufig der Seelenvogel, der den Helden an mysteriöse,
unterirdische Orte führt oder ihn in Geheimnisse des Jenseits einweiht.
Als ich die Bilder 1991
in Regensburg in der Galaerie „Unter den Arkaden“ ausstellte,
lag ein kleines Buch an einem Tisch, in dem die Besucher ihre Eindrücke
eintragen konnten.
Es waren nicht wenige dabei,
die damals den Text für zu düster und bedrohlich hielten,
weil fast überall, der Tod eine Rolle spielte.
Gerade diese Tatsache aber
zog mich an den Texten von Uwe Dick an. Weil dieser, wie ich, spürte,
welche Bedeutung der Tod in jedem Augenblick unseres Lebens hat.
Er schreibt: „Gib,
dass ich offen bin für meinen Augen-Blick nicht
Jahre, Augenblicke
sind mein Leben.“
Dieser Satz könnte
gleichzeitig der erste Leitsatz für meine Ausstellung sein.
Der Tod, die Vergänglichkeit
gibt dem Augenblick erst seine Fülle, seine Faszination. Ist der
Augenblick vorbei, so ist dieser nicht wiederholbar. Ein Augenblick,
der sich endlos wiederholen ließe, wäre bedeutungslos und
eigentlich schon tod. Im Augenblick wird die Zeit wie in einem Brennglas
gebündelt. Gewicht und Leichtigkeit der Zeit leuchten für
einen kurzen Moment auf. Die Vergänglichkeit erweckt den Augenblick
erst zum Leben. Anders ausgedrückt: Der Tod haucht dem Augenblick
erst das Leben ein.-
Uwe Dick schreibt in einem
Gedicht:
Es locken die
Mädchen
Zwitschernd,
unter Arkaden.
Ich gebe nach,
möchte küssen:
da blickt der
Tod durchs Fenster.
Nicht schön.
Doch gut zu wissen.
Denn wer ans
Sterben denkt, beginnt
zu leben.
Und dies könnte der
zweite Leitsatz sein: „Wer ans Sterben denkt, beginnt zu leben.“
Ich habe jahrelang nach
Texten für meine Bilder gesucht, aber keine besseren gefunden.
So war ich geradezu begeistert, als ich in „Theriak“ diese
Texte fand.
Das Thema „Tod“
in Gedichten ist nachvollziebar. Was aber hat der Tod mit meiner Photographie
zu tun?
Ich will versuchen, es
kurz zu erklären. Wann entsteht ein Bild? Halte ich die Kamera
ans Licht und drücke ab, so wird das Bild weiß und es ist
nichts darauf erkennbar. Habe ich vergessen den Objektivdeckel herunterzumachen
wird das Bild schwarz. Es ist ebenfalls nichts erkennbar.
Schaue ich mit den Augen
ständig ins Licht, werde ich blind. Lebe ich ständig im Dunkeln,
werde ich ebenfalls blind.
Gott sagte, es werde Licht
und es ward Licht.
Es stimmt:
Erst mit dem ersten Lichtstrahl,
der ins Dunkel dringt entsteht Leben.
Ebenso stimmt aber:
Erst mit dem ersten Schattenstrahl,
der ins Licht dringt, entsteht Leben.
Das Leben besteht aus den
unendlich verschiedenen Zwischentönen, zwischen Schwarz und Weiß,
zwischen Hell und Dunkel, zwischen Finsternis und Licht. Ich muss auch
der Finsternis, dem Dunklen, das mich ängstigt, Raum in mir lassen,
damit mein Leben reich an Zwischentönen wird. Dies wollen die meisten
nicht wahrhaben. Sie wollen ans helle Licht, ohne zu merken, dass dadurch
ihr Bild flach und langweilig wirkt.
Ich fasse noch einmal kurz
zusammen: Es gilt: „Der erste Lichtstrahl, der in das Dunkel dringt,
erweckt das Leben.“
Es gilt ebenso: „Der
erste Schattenstrahl, der ins Licht dringt, erweckt das Leben.“
„Mitten im Leben,
sind wir vom Tod umfangen.“ Wahrscheinlich darf man den Satz auch
umdrehen: „Mitten im Tode, sind wir vom Leben umfangen.“
Wie könnte man die
Wechselbeziehung zwischen Leben und Tod, zwischen Licht und Dunkel,
besser darstellen als mit Schwarz-Weiß-Fotografie, die eigentlich
gar nicht schwarz-weiß ist, sondern durch das, was dazwischen
ist, zum Leben erweckt wird.
Der Tod haucht dem Augenblick
erst das Leben ein.